Eine Buchbesprechung für den DLF im September 2014 (nach Manuskriptabnahme verzichtete der Sender auf die Ausstrahlung)
Zwei lebende Päpste – ein historisches Ereignis, das hervorragend geeignet ist für Kommentare, Anekdoten, Spekulationen. Dass die gleich ganze Bücher füllen müssen, ist nicht unbedingt notwendig, aber es passiert nun mal. Damit sein Werk “Buonanotte und Buonasera“ nicht allzu ernst erscheint, nennt es A.L., zeitweise Vatikan-Korrespondent der größten deutschen Boulevardzeitung, „Eine Reportage“, zum leichteren Verständnis mit „zum Teil unveröffentlichten“ Hochglanzfotos angereichert. Der Klappentext verspricht einen Blick hinter die Mauern sonst „gut bewachter Palazzi und augenzwinkernde Anekdoten“ aus seinen – so der Autor – atemlosesten Berufsjahren von 2010 bis 2014, in denen er die letzten Amtsjahre Benedikts XVI. und den Beginn des Pontifikats von Franziskus aus seiner ganz persönlichen Sicht beschreibt, exklusiv, enthüllend, detailgenau, wie es dem Stile der Bildzeitung entspricht. Doch schon auf der achten von insgesamt 157 Seiten macht der Autor einen Rückzieher.
„Die Menschen, die wirklich nah dran sind an Benedikt, sind diskret, höflich und bodenständig. Arroganz und Prahlerei mit vermeintlichem Geheimwissen und besonderer Papst-Nähe sind dagegen sichere Hinweise auf die zweite bis letzte Reihe.“
Wie passen solcher Art gepredigte Diskretion und Bescheidenheit zu dem eher pompösen Einstieg in seine Reportage? A.L., seine italienische Ehefrau und die neugeborene Tochter werden von höchster Stelle empfangen:
„Wir sind nicht bei irgendwem zu Gast , sondern beim 246. Nachfolger des Apostels Petrus, um Benedikt XVI in einer kurzen Begegnung unsere erst wenige Monate alte Tochter vorzustellen.“
Die habe unbeeindruckt und vollkommen unbeteiligt dreingeschaut. Spannend wird die Sache aber letztlich doch, weil die Tochter nämlich in die Windel gemacht hat und dann auf einem Kühlschrank in einer altmodischen Toilette der päpstlichen Residenz noch schnell gewickelt werden muss. ‚Ein Kühlschrank der göttlichen Vorsehung‘ – da zwinkert das Autoren-Auge. Der Kuss des Papstes auf die Stirne der Tochter, alles belegt mit den bisher – warum nur? – unveröffentlichten Fotos.
Und dann ein weiteres, eher verwirrendes Bekenntnis:
„An 364 Tagen im Jahr bin ich auch als katholisch getaufter Journalist zur professionellen Distanz verpflichtet aber an diesem Tag - um es mit der berühmtesten aller Bild-Zeitungsschlagzeilen zu sagen: An diesem Tag sind wir Papst.“
Und das bleiben sie die ganze „Reportage“ über. A.L., Katholik aus Bayern mit unzähligen Priestern und Nonnen in der Familie, stellt sich heroisch an die Seite des Landsmannes im Papstgewand und wird zu seinem glühenden Verehrer und Beschützer.
„Ein schüchterner Petrus-Nachfolger. Ein vielfach verkannter, fabelhafter Mensch. Nicht aus Eitelkeit trug der Papst aus Bayern kunstvoll angefertigte Mitren, mit Goldfäden durchwebte Gewänder oder die roten Papstschuhe, sondern zur Ehre Gottes.“
Die angebliche professionelle Distanz verkürzt sich im Laufe der Reportage dann melodramatisch. Der Bild-Zeitungskorrespondent findet in Rom eine Wohnung, natürlich mit Blick auf den Petersdom – der Papst rückt immer näher.
„Hier wohnt Benedikt mit seiner geistlichen Familie, nur 500 Meter von mir entfernt,“
schreibt L. förmlich beseelt. Auch einen Arbeitsplatz im Vatikanischen Pressezentrum findet er – nur einen Steinwurf weit vom Petersplatz entfernt. Mit Prälaten spielt er Schafkopf und trinkt patriotisch Münchener Bier, auf einer Terrasse direkt unter der Kuppel des Petersdoms, ein Foto – auch das bisher unveröffentlicht! – beweist es. Seine Lieblingspizzeria ist natürlich jene, die ganz nahe am Vatikan liegt. Beim dramatischen Abschied des Papstes aus Bayern – ein Verlust wie in der eigenen Familie, gesteht A.L. erschüttert – stand der Autor wieder nur einen Steinwurf weit weg vom Weltereignis. Und tröstet sich mit einem besonders edlen Tropfen.
„Wir warten ein wenig, bis der Abschiedsapplaus verhallt ist und sich die Menschen, die seinen letzten Segen empfangen haben, verlaufen haben. Dann stoßen wir mit zwei mitgebrachten Gläschen mit Limoncello aus Zitronen vom Dachgarten des Papstes an. Ein Geschenk, dass man nirgendwo kaufen kann.“
Ach du heilige Zitrone, möchte man da sagen. Derart angeheitert nennt A.L. nun auch die Gründe des Papstrücktritts: ein verräterischer Kammerdiener, Intrigen anderer, die angeschlagene Gesundheit des Papstes. Eine von mehreren möglichen Versionen der Ereignisse, die zu Benedikts historischer Entscheidung führten. Die aber – außer dem selbstgemachten Limoncello – keine neue Erkenntnisse bringen. Der distanzierte Korrespondent L. schüttelt Benedikt zwar permanent die Hand, unter anderem, als er seine inzwischen zweite Tochter vom Papst segnen lässt, aber Neues aus dem Nähkästchen erfahren weder er noch seine Leser. L. sammelt fleißig Papstzitate. Sie sollen Benedikts lauteren Kampf gegen die Missstände während seines Pontifikats beweisen, von pädophilen Priestern bis zur Misswirtschaft in der Vatikanbank. Aber die überzeugen nicht so recht und unterstreichen im Nachhinein eigentlich nur, wie dringend nötig der vatikanische Führungswechsel im vergangenen Jahr war.
Natürlich fehlte der Autor nicht, als Jorge Maria Bergoglio am 13. März 2013 auf den Balkon trat, aber mit dem kann sich L. in der Folgezeit nicht mehr so recht anfreunden. Skeptisch sei er gewesen. Die Kontraste zwischen dem Hundefreund Franziskus und dem Katzenliebhaber Benedikt ließen sich nicht abstreiten. Letzterer sprachbegabt und musikalisch – sein Lieblingslied: „Ein schöner Land“ – Ersterer völlig unmusikalisch, nicht singend und nur auf Italienisch grüßend – womit er aber, dennoch – so ungerecht sei das Leben – die Massen noch direkter erreiche. Ein ungehobelter Populist – so liest man zwischen den Zeilen, überbewertet. Im Klartext heißt es:
„Manche Jubelarien scheinen mir unangebracht!“
Ein ganzes halbes Jahr dauerte es, bis der Bild - Zeitungskorrespondent - erst lange nach Müllmännern und Obdachlosen – zum ersten Mal an einer Morgenmesse mit nur 50 geladenen Gläubigen teilnehmen darf. Und dann endlich die ersehnte persönliche Begegnung.
„Angenehmer aber kurzer Händedruck mit einem herzlichen, lauten und vor allem fast akzentfreien „Grüß Gott“ überrascht mich der Papst, als er von meiner bayerischen Herkunft erfährt.
Noch einmal schaut L. hinter die hohen Mauern und schaut den nun zwei Päpsten im Vatikan zu. Exklusiv.
„Die Welt bekommt nichts mit davon, dass die beiden Päpste sich gelegentlich zum Essen treffen und Franziskus dann den von Benedikt selbstgemachten Limoncello trinken muss.“
Natürlich jenen bereits erwähnten, den auch der Autor verkosten durfte – damit wären sie nun zu Dritt. Aber auch damit wird der Leser nicht schlauer und hält sich an den weisen Spruch der alten Lateiner: Si tacuisses……
Foto: Coronel Gonorrea/ Unsplash